13 Jahre Konflikt
Der seit 13 Jahren währende Konflikt hat in Nordwestsyrien dazu geführt, dass mehr als vier Millionen Menschen zum bloßen Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Angesichts des Konflikts, der kein Ende zu nehmen scheint, verschlimmert sich die Lage zusehends.
Die verheerenden Erdbeben im Februar 2023 haben zu einem plötzlichen Anstieg an humanitären Bedürfnissen geführt, was das Leben für die vertriebenen Familien in der Region noch herausfordernder gemacht hat.
Unterstützt von der EU und anderen Spendern versorgen die Teams von GOAL derzeit mehr als 51.000 Familien mit monatlicher Bargeldhilfe, damit diese sich Lebensmittel kaufen und ihre Grundbedürfnisse erfüllen können. Familien wie die von Um Abdal und Hamoud.
Entwurzelte Leben
„Das ist schwer zu begreifen, ich weiß, aber ich habe das Gefühl, dass mir in meinem Leben nur Schmerz und Leid widerfahren sind. Meine Erinnerungen sind belastet durch die vielen Jahre, die wir als Vertriebene, Entwurzelte und Obdachlose gelebt haben", sagt Um Abdal*, eine 40-jährige Mutter von sechs Kindern, die in einem Lager im Dorf Kelly in Idlib, nahe der syrischen Grenze zur Türkei, lebt.
„Oft wundern wir uns, wie wir überhaupt überleben konnten,“ fügt ihr Mann Hamoud hinzu.
Ich habe das Gefühl, dass mir in meinem Leben nur Schmerz und Leid widerfahren sind
Um Abdal mit ihren Kindern und Enkelkindern.
Lange Jahre der Vertreibung
Seit Ausbruch des Konflikts vor 13 Jahren hat die Krise in Syrien mehr als 11 Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Davon sind sechs Millionen Menschen Binnenflüchtlinge, während mehr als fünf Millionen weitere außerhalb der Landesgrenzen Zuflucht suchten. Im Zuge der Auseinandersetzungen sind mindestens 300.000 Menschen auf tragische Weise ums Leben gekommen.
Wie viele andere Menschen in Nordwestsyrien mussten auch Um Abdal, Hamoud und ihre Familie ihr Zuhause verlassen, um dem Konflikt zu entkommen.
Sie zählen zu den zwei Millionen Binnenflüchtlingen, die in Lagern in Idles und Nord-Aleppo leben.
Die Geschichte von Um Abdal und Hamoud steht beispielhaft für die verheerenden Auswirkungen des Konflikts auf das Leben Unschuldiger.
Vor Ausbruch des Krieges führten sie ein komfortables und glückliches Leben. Sie hatten ein gemütliches Zuhause, genossen in ihrer Freizeit Picknicks und hatten ein enges Unterstützungsnetzwerk an Nachbarn, die sich wie eine Familie anfühlten. Hamoud arbeitete in der uralten Stadt Aleppo als Taxifahrer. Ein Ort, der heute in Schutt und Asche liegt.
„Wir hatten ein gutes Leben in Aleppo. Ich hatte einen stabilen Arbeitsplatz und in unserem Haus wurde ständig gelacht. Aber dann hat der Krieg alles zerstört. Wir mussten unser Zuhause, unsere Erinnerungen, einfach alles zurücklassen. Es war eine Reise voller Schmerz und Verlust, von der wir nie glaubten, dass wir sie jemals erleben müssten,“ erzählt Um Abdal.
Hamoud mit seinen Töchtern Yasmin (11) und Batool (4)
Aber dann hat der Krieg alles zerstört. Wir mussten unser Zuhause, unsere Erinnerungen, einfach alles zurücklassen
Seit sie erstmals die Flucht antreten mussten, hatte die Familie von Um Abdal und Hamoud unvorstellbare Herausforderungen zu überwinden. Auf der Suche nach Sicherheit mussten sie mehrmals umziehen.
Zunächst fanden Sie Zuflucht in einem Dorf in Idlib, das sie aber nach einem Angriff im Jahr 2019 wieder verlassen mussten. Bei diesem Angriff kam ihr ältester Sohn ums Leben und die drei kleinen Enkelkinder wurden zur Waisen.
Noch in tiefer Trauer über den Verlust machten sie sich auf den Weg in die Stadt Jandires im Norden Aleppos.
Einen weiteren Rückschlag musste die Familie hinnehmen, als das Erdbeben in der Türkei und in Syrien 2023 das Lagerhaus zerstörte, in dem sie in Jandires untergekommen war. Einmal mehr mussten sie alles zusammenpacken und sich auf den Weg machen, bis sie schließlich in einem Flüchtlingslager in Kelly in Idlib unterkamen.
Die Kinder und Enkelkinder der Familie spielen vor der Backsteinhütte, in der sie seit den Erdbeben im Februar 2023 leben
Leben im Flüchtlingslager
Nachdem sie im Lager angekommen waren, machte sich Hamoud auf Arbeitssuche, um für seine Familie sorgen zu können. Allerdings gab es keine Möglichkeiten, ein Einkommen zu verdienen.
„Nun leben meine Frau, die ganzen Kinder und ich in dieser kleinen Blockhütte. Wir müssen uns zu zehnt fünf Matratzen teilen und haben zehn dünne Decken, um uns warm zu halten - das müssen Sie sich einmal vorstellen,“ erklärt Hamoud.
„Es gibt nicht genügend Schuhe für die Kinder. Sie teilen sich die Schuhe, wenn sie nach draußen gehen - je nach Bedarf. Für das älteste Kind kaufen wir jedes Jahr einen Satz Klamotten in einem Second-Hand-Laden. Ich versuche mein Bestes, damit sie lange halten, denn sie werden an alle anderen Kinder weitergegeben", fügt Um Abdal hinzu.
„Mittlerweile ist dieses Gebiet an den Ausläufern der Kelly-Berge von Lagern übersät. Zehntausende Familien, die durch den Konflikt und andere Katastrophen vertrieben wurden, leben hier. Allerdings mangelt es in der gesamten Region erheblich an der Grundversorgung. Es gibt weder Schulen, noch Krankenhäuser oder Apotheken. Wenn man etwas braucht, muss man mindestens fünf Kilometer laufen, um die nächste Stadt zu erreichen,“ fährt Hamoud fort. „Wir sind völlig auf uns alleine gestellt und stehen vor einer ungewissen Zukunft,“ fügt er hinzu.
Es gibt weder Schulen, noch Krankenhäuser oder Apotheken. Wir sind völlig auf uns alleine gestellt.
Hoffnung für Familien
Dank der Unterstützung durch die EU und andere großzügige Förderer erreichen die GOAL-Teams über 51.000 Familien im Nordwesten Syriens monatlich mit Bargeldhilfe, die sie zum Kauf von Lebensmitteln und zur Deckung anderer Grundbedürfnisse verwenden können. Familien wie die von Um Abdal und Hamoud.
„Vor kurzem haben wir Bargeldhilfe von GOAL erhalten. Für uns hat sich das wie ein Fest angefühlt. Wir haben Zucker, Linsen, Bulgurweizen und Öl gekauft – Pflanzenöl natürlich, kein Olivenöl; Olivenöl hatten wir seit über fünf Jahren nicht mehr,“ erzählt Hamoud.
„Außerdem haben wir einige Lebensmittel gekauft, die wir schon lange nicht mehr hatten – zum Beispiel Eier. Meine Frau hat sogar eine große Mahlzeit für die Kinder zubereitet,“ fügt er hinzu.
Wie so viele andere Eltern im Nordwesten Syriens hat sich Hamoud daran gewöhnt, angesichts einer ungewissen Zukunft und der verblassenden Erinnerungen an eine bessere Vergangenheit Mahlzeiten ausfallen zu lassen. Aber er weiß, wie wichtig der Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln für Kinder ist.
„Sobald sie morgens ihre Augen öffnen, fragen die Kinder nach Essen. Kinder sorgen sich noch nicht um Geld, Einkommen oder ähnliche Dinge. Sie kennen nur ihre Bedürfnisse,“ sagt Hamoud.
Hamouds Enkelin Leila (10) mit ihrem Bruder Ali (5) und ihrer Schwester Zainab (8)
Die zehnjährige Leila, das älteste von Hamouds drei Enkelkindern, teilt die Sorgen ihres Großvaters, da sie in der Vertreibung aufgewachsen ist.
„Als ich klein war, hat mich meine Großmutter zur Schule gebracht. Ich habe gelernt, meinen Namen zu schreiben, und ich erinnere mich daran, dass Schule etwas Wunderbares war. Jetzt kann ich mir nur noch die Straßen des Lagers merken, aber das macht mir nichts aus, solange ich mich um meine Geschwister kümmern kann. Ich wünsche mir nichts von der Welt, außer dass ich dafür sorgen kann, dass sie zu essen haben", sagt sie.
*Die Namen der Personen in dieser Geschichte wurden geändert, um ihre Identitäten zu schützen.
GOAL in Syrien
Der seit über einem Jahrzehnt andauernde Konflikt hat mehr als 6,8 Millionen Syrer zu Binnenflüchtlingen gemacht. In Syrien sind 70% aller Menschen fürs tägliche Überleben auf humanitäre Hilfe und Unterstützung angewiesen.
Seit Beginn der Auseinandersetzungen im Jahr 2012 haben die Teams von GOAL Hilfe vor Ort in Syrien geleistet. Im vergangenen Jahr konnten mit dem Nothilfeprogramm von GOAL mehr als 287.000 kürzlich vertriebene Menschen mit Lebensmitteln, Kochausrüstung und Finanzhilfen unterstützt werden. Nachdem die Techniker von GOAL die beschädigte
Wasserversorgungsinfrastruktur reparieren konnten, haben über 1,1 Million Menschen nun in ihrem Zuhause Zugang zu sauberem Trinkwasser. Weitere 430.000 Menschen in Nordwest-Syrien konnten von GOALs Bäckereiprogramm profitieren.
Einfluss in Zahlen
+1 million
Zugang zu sauberem Wasser für mehr als 1 Million Menschen
+430.000
Tägliche Lieferung von Brot an mehr als 430.000 Menschen
2.1 Millionen
Menschen im Jahr 2022 unterstützt
2012
GOAL nimmt die Arbeit in Syrien auf
Kareems Geschichte
Das vergangene Jahrzehnt haben Kareem und seine Familie damit verbracht, auf der Suche nach Zuflucht durch das kriegszerrüttete Syrien zu ziehen. In der benachbarten Türkei fanden sie schließlich einen sicheren Hafen und die Möglichkeit, sich ein neues Leben aufzubauen.
Leider war diese Ruhepause nur von kurzer Dauer. Als im Februar ein verheerendes Erdbeben die Türkei erschütterte, musste die Familie erneut fliehen. Froh darüber, mit dem Leben davon gekommen zu sein, kehrte die Familie nach Nordwestsyrien zurück.
Im Zuge des wiederaufflammenden Konflikts wurde die Familie erneut entwurzelt. Aufgrund der zunehmenden Luftangriffe sahen sich Kareem und seine Familie dazu gezwungen, aus ihrem Zuhause in Sarmin zu fliehen.
Die Entscheidung fiel im nicht leicht, allerdings sah Kareem keinen anderen Ausweg: „Es gibt kein schlimmeres Gefühl der Hoffnungslosigkeit, als seine eigenen Kinder zitternd und verängstigt zu sehen.“
„Obwohl die Flucht gefährlich war, während um uns herum Bomben fielen, rief ich eines Abends, als der Beschuss etwas nachließ, meine Kinder zusammen und wir entkamen, ohne jemals zurückzublicken,“ sagt Kareem.
Kareem mit seinem dreijährigen Sohn Azim, dem vierjährigen Ahmad und seiner fünfjährigen Tochter Yasmine.